Direktkandidaten für den Bundestag auf dem Podium in der Buxtehuder Festhalle

Ausnahmsweise keine Hochzeit: Schüler der BBS Buxtehude folgend der Diskussion der Direktkandidaten für den Bundestag in der Buxtehuder Festhalle. Foto: SJR
Ausnahmsweise keine Hochzeit: Schüler der BBS Buxtehude folgend der Diskussion der Direktkandidaten für den Bundestag in der Buxtehuder Festhalle. Foto: SJR

LANDKREIS. 360 Schüler im Saal, sechs Bundestagskandidaten im Wahlkreis Stade/Rotenburg und die Themen Klima, Wirtschaft und Soziales – alles war in der Buxtehuder Festhalle für einen politischen Schlagabtausch angerichtet, den es aber nicht gab.

 

Nach eineinhalbstündiger friedlicher Debatte kristallisierten sich viele Gemeinsamkeiten von Grünen, Linken und Sozialdemokraten heraus, ebenso zwischen CDU und FDP. Nur die AfD war außen vor.

 

Die junge AfD-Direktkandidatin Marie Thérèse Kaiser (24) rechts außen und Klemens Kowalski (42) von den Linken links außen – so hatten der Buxtehuder Stadtjugendring und die Berufsbildenden Schulen als Veranstalter die Kandidaten auf dem Podium platziert. Für TAGEBLATT-Redakteur Björn Vasel eine politische Steilvorlage, um besonders immer wieder auf die „Rechtsaußen“ zu verweisen, wenngleich die AfD-Kandidatin alles vermied, um mit rechtsextremen Positionen besonders aufzufallen. Der Klimawandel war von den Schülern als Schwerpunkt der Debatte genannt worden.

 

Die Positionen: Oliver Grundmann (50), amtierender Direktabgeordneter für die CDU im Bundestag sieht den Klimawandel als die größte Herausforderung der Menschheit, aber es sei utopisch eine Klimaneutralität in Deutschland bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Dafür müssten beispielsweise Zementwerke und Stahlwerke schnell abgeschafft werden. Grundmann: „Das wäre der totale Wahnsinn.“ Grundmann ist sicher, dass durch eine kluge Politik Deutschland das erste Land der Welt werde, das die Klimaziele erreiche. Grundmanns Beispiel: Ein LNG-Terminal in Stade, das mit klimaneutralem Biogas beliefert werde, sei der richtige Weg. Die Bürger müssten beim Klimawandel mitgenommen werden. Grundmann warnte davor, utopische Forderungen der Grünen umzusetzen.

 

Björn Vasel (links) mit den Kandidaten Klemens Kowalski (Linke), Kai Köser (SPD), Claas Goldenstein (Grüne), Steven Hermeling (FDP), Oliver Grundmann (CDU) und Marie Thérèse Kaiser (AfD) - Foto: SJR
Björn Vasel (links) mit den Kandidaten Klemens Kowalski (Linke), Kai Köser (SPD), Claas Goldenstein (Grüne), Steven Hermeling (FDP), Oliver Grundmann (CDU) und Marie Thérèse Kaiser (AfD) - Foto: SJR

Nachhaltigkeit im Fokus

Die Bürger am Wandel beteiligen – das war so ziemlich der einzige Konsens zwischen Grundmann und dem SPD-Direktkandidaten Kai Koeser (43). Er sprach sich für einen Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen aus, damit Widerstände, beispielsweise gegen Windparks, gar nicht erst auftauchen. Der Sozialdemokrat warb für eine Mobilitätswende: weniger Autos, weniger Verbrenner, mehr ÖPNV, mehr Fahrräder.

 

Claas Goldenstein (28), Nachhaltigkeits-Wissenschaftler und Kandidat der Grünen, will den Energieverbrauch drastisch reduzieren und gleichzeitig die erneuerbaren Energien ausbauen. Der Grüne: „Unseren Energiehunger durch Exporte zu decken, ist kein nachhaltiges Modell.“ Unter anderem werde eine Verdoppelung der Windkraftgewinnung angestrebt. Für die Windkraft möchte er ein Genehmigungsrecht mit verkürzten Phasen erreichen, gleichzeitig gelte es die Umweltverbände mit ins Boot zu nehmen. Die gesamte Klimapolitik von CDU und SPD bezeichnete er als nicht glaubwürdig. Goldenstein: „Sich Federn in den Hintern zu stecken, macht einen noch lange nicht zum Huhn.“

 

Steven Hermeling (23), Sport- und Fitnesskaufmann, kandidiert für die FDP im Wahlkreis Stade/Rotenburg. Er möchte den Klimawandel für Privathaushalte bezahlbar machen. Hermeling: „Wir verlieren Arbeitsplätze und Wohlstand, wenn wir das Programm der Grünen umsetzen.“ Der Liberale spricht von einer Klima-Dividende und möchte über den Emissionshandel den CO2-Ausstoß verteuern.

 

AfD-Kandidaten will Atomkraftwerke

Klemens Kowalski, Kandidat der Linken, fürchtet, dass Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen die Kosten für den Klimawandel zahlen sollen. Deshalb sein Weg: „Wir müssen der Industrie Vorgaben machen, wenn sie Klimaneutralität zu machen haben.“ Dazu gelte es den ÖPNV in ländliche Regionen auszuweiten, die Bahn attraktiver zu machen und dafür zu sorgen, dass die Menschen in ländlichen Regionen sich noch ihr Auto leisten können, weil sie anders nicht zur Arbeit kommen. Statt Neuwagenprämien müsste es Umrüstungsprämien geben, weil immer noch 40 Millionen Autos auf der Straße sind und die wenigsten Menschen sich E-Autos leisten können. Kowalski: „Wir stehen vor der Frage Leben und Tod, da gibt es keine Kompromisse gegenüber der Industrie und so industriehörigen Parteien wie CDU und SPD.“

 

Marie Thérèse Kaiser, Direktkandidatin der AfD, will in Deutschland neue Atomkraftwerke bauen, die sicherer seien als die Atomkraftwerke in Frankreich, Belgien und Polen, die Deutschland auch in Zukunft Atomstrom liefern müssten. Im Gegensatz zu vielen Meldungen sei der Klimawandel für die AfD ein Thema. Gleichwohl sei die AfD gegen Flächenversiegelung und gegen Windkraft.

 

Große Unterschiede gab es in der Wirtschafts- und Sozialpolitik: Kai Koeser war sich mit Klemens Kowalski einig, dass der Mindestlohn angehoben werden muss. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei ein interessantes Konzept. Dagegen fürchtet Steven Hermeling: „Den Mindestlohn zu steigern, gefährdet Arbeitsplätze im Mittelstand.“ Auch Steuererhöhungen würden viele Unternehmen in Schwierigkeiten bringen, viele Firmen würden ihre Produktion ins Ausland verlagern. Oliver Grundmann versprach: „Mit einer Regierungsbeteiligung von CDU/CSU wird es keine Steuererhöhungen geben.“ Grundmann warnte davor, die Unternehmer zu verteufeln. „Die Unternehmer in Deutschland investieren und stopfen sich doch nicht die Taschen voll.“

 

Das sah Klemens Kowalski anders: Er will die Wirtschaft demokratisieren, Mitarbeiter sollten über die Ausrichtung der Unternehmen mitentscheiden können, es müssten ordentliche Löhne gezahlt und bessere Arbeitsbedingen geschaffen werden. Der derzeitige Mindestlohn reiche nicht für eine Rente im Alter. Kowalskis Rat an die Wähler: „Wer mehr als 120 000 Euro verdient, sollte nicht die Linken wählen.“ Von den Gutverdienenden wollen sich die Linken das Geld holen, um die sozial Benachteiligten zu fördern.

 

Schüler stellten keine provokativen Fragen

AfD-Vertreterin Kaiser will Grundsteuer und Erbschaftssteuer abschaffen und eine Digitalsteuer einführen, um Konzerne wie Google und Amazon zu treffen. Außerdem soll nicht mehr so viel Geld ins Ausland zur EU oder nach Afrika fließen.

Claas Goldenstein fordert eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Häusliche Pflege und Kindererziehung müssten in das Bezahlsystem integriert werden. Menschen, die außerhalb des Arbeitsmarktes stehen, seien wertvoll. Nicht jeder habe das Glück, dass seine Arbeit sich in einem existenzsichernden Einkommen niederschlage. Der Grüne: „Unsere Sozialprogramme zielen auf eine Existenzsicherung aller Menschen ab.“

Fazit am Ende: Der politische Anstand wurde gewahrt, die Schüler stellten keine provokativen Fragen. Für mögliche Koalitionen wurden diverse Modelle genannt: CDU/FDP, SPD/Grüne/Linke oder auch Jamaika (Schwarz-Gelb-Grün). Sozialdemokrat Kai Koeser war sich in einem Punkt sicher: „Mit der CDU ist eine Regierung nicht mehr vorstellbar für uns.“

 

 

Ein Bericht von Wolfgang Stephan (Tageblatt), erschienen am 16.09.2021 im Buxtehuder Tageblatt.

Vielen Dank für die Veröffentlichungserlaubnis an dieser Stelle - und vielen Dank für die Moderation an Tageblatt-Redakteur Björn Vasel!