
Wie gehen wir mit der Jugend um? Wollen wir junge Menschen an den Rand der Gesellschaft drängen oder sie als vollwertige und wichtige Mitglieder unserer Gesellschaft respektieren? Buxtehude steht vor einer Entscheidung, die weit über ein einzelnes Gebäude hinausgeht: Wo können sich Jugendliche heute überhaupt noch treffen? Spielplätze, Schulhöfe nach Unterrichtsschluss, öffentliche Parks – vielerorts sind junge Menschen unerwünscht. Und jetzt droht sogar dem Freizeithaus Buxtehude, seit Jahrzehnten eine feste Größe erfolgreicher Jugendarbeit, das Aus.
Auslöser sind Beschwerden von Anwohnern - nach WOCHENBLATT-Informationen eines einzigen Anwohners - über zu laute Veranstaltungen. Im Freizeithaus soll jetzt ab 22 Uhr absolute Ruhe herrschen, d.h., alle Veranstaltungen müssen spätestens um 21.45 Uhr beendet sein. Für die Jugendarbeit ist das ein massiver Einschnitt. "Gerade nach Corona leiden viele junge Menschen unter den Folgen, dass ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt wurden", schlägt Buxtehudes Jugendpfleger Gabriel Braun Alarm: „Wenn wir ihnen jetzt die wenigen Räume nehmen, die sie überhaupt noch haben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie resignieren oder sich radikalen Gruppen zuwenden, um wahrgenommen und gehört zu werden.“

Dabei gilt das Freizeithaus seit Jahrzehnten als Erfolgsgeschichte. Neben vielen weiteren Angeboten proben hier Bands und Nachwuchskünstler sammeln bei tollen Konzerten erste Bühnenerfahrungen. Diese Angebote, oft ehrenamtlich organisiert und nur nach Feierabend möglich, sind auf spätere Uhrzeiten angewiesen. Es geht um Kultur und Begegnung, nicht um Randale. Und trotzdem wird die Jugendarbeit wie ein Störfaktor behandelt.
Für Gabriel Braun ist die Debatte um die Nutzung des Freizeithauses ein gesellschaftliches Signal mit der Frage: Wie viel Raum gestehen wir jungen Menschen zu? Wenn selbst ein traditionsreiches Jugendzentrum durch Auflagen infrage gestellt wird, bleibt kaum noch Platz für ihre Bedürfnisse. Braun warnt: „Jugendliche sind unsere Zukunft. Aber wenn wir sie immer nur bremsen, dürfen wir uns über Frust und Perspektivlosigkeit nicht wundern.“
Freizeithaus Buxtehude: Rechtliche Grauzone und wachsender Widerstand
Die Auseinandersetzung um das Freizeithaus Buxtehude geht weit über Nachbarschaftsbeschwerden hinaus – sie zeigt ein rechtliches Vakuum. Während Kinderlärm auf Spielplätzen gesetzlich privilegiert ist, gibt es für Jugendliche keinen vergleichbaren Schutz. Folge: Bereits bei der beliebten und im gesamten Landkreis bekannten Konzertreihe der Stadtjugendpflege Buxtehude „My Six Stages" stand im Februar an allen sechs Veranstaltungstagen die Polizei vor der Tür. Unter den neuen Bedingungen sind solche Formate gar nicht mehr möglich.
Der Stadtjugendring, eine Interessengemeinschaft der Buxtehuder Jugendverbände, die das Freizeithaus seit vielen Jahren nutzt, schlägt deshalb Alarm. Vorstandsmitglied Achim Biesenbach kritisiert: „Es ist eine Farce, dass ein Gebäude, das seit 50 Jahren als Jugendeinrichtung genutzt wird, plötzlich baurechtlich wie ein Wohnhaus behandelt wird."
Auch der Stadtjugendring muss aufgrund der Nutzungseinschränkungen Veranstaltungen absagen. In einer Krisensitzung des Stadtjugendrings mit rund 35 Teilnehmern, darunter Ehrenamtliche, Eltern, Musiker und viele mehr, werden jetzt Strategien für eine Kampagne entwickelt, um für die Jugendarbeit in Buxtehude zu kämpfen und diese rechtlich auf sichere Beine zu stellen. Deutlich zum Ausdruck kam bei der Sitzung aber auch das Unverständnis, dass die Nutzung des Freizeithauses nur aufgrund der Beschwerden bereits eingeschränkt wurde.
Diego Grote, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Liberalen Stade, der mit 15 Jahren genau zur Zielgruppe des Freizeithauses gehört, betont: „Das Freizeithaus ist seit Jahren ein Herzstück für junge Menschen in Buxtehude. Wer ihnen jetzt ihre Räume nimmt, beschneidet ihre Freiheit und vertreibt sie am Ende aus der Stadt.“ Statt Verbote brauche es Lösungen – etwa bessere Schallschutzkonzepte oder klare Absprachen mit den Anwohnern.
Quelle: Neue Buxtehuder Wochenblatt, Artikel von Nicola Dultz, erschienen am 23.08.2025, vielen Dank für die Erlaubnis zur Wiedergabe an dieser Stelle
Kommentar: Wer neben Jugend zieht, muss mit Jugend leben können
Seit rund 50 Jahren wird das Freizeithaus als Jugendeinrichtung genutzt. Zentral gelegen, mit viel Platz, engagierten Betreuern und einem vielseitigen Konzept ist es ein beliebter Treffpunkt für die Jugend. Wer dort in die Nachbarschaft zieht, muss damit rechnen, dass es lauter werden kann. Es ist unfair, erst nach dem Einzug zu prüfen, ob die Rahmenbedingungen stimmen, und dann mit allen rechtlichen Mitteln gewachsene Strukturen und Lebenswelten zu zerstören.
Bei der Frage, ob jetzt die Nutzungszeiten des Freizeithauses eingeschränkt werden, geht es um mehr als das Interesse einzelner Anwohner. Es geht darum, ob wir unserer kreativen Jugend – in diesem Fall größtenteils junge Musiker und keine Randalierer – signalisieren, dass sie keine Rolle in der Gesellschaft spielen. Abgesehen davon, dass das menschlich unfair ist, sollten wir bedenken: Das Machtverhältnis wird sich ändern. Menschen, die heute von der Gesellschaft ignoriert werden, werden kaum Interesse haben, sich später wohlwollend für sie zu engagieren.
Kommentar von Nicola Dultz